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Schwangerschaftsabbruch: My body my rules?

 

Selbst die sichersten Verhütungsmittel haben bei richtiger Anwendung eine Fehlerrate von wenigen Prozent. Insbesondere sexuelle Bildung und die Verfügbarkeit von Verhütungsmitteln für alle haben einen Einfluss darauf, wie viele ungewollte Schwangerschaften es in einem Land gibt. Komplett vermeiden lassen sie sich nicht – wie kann ein Umgang damit aussehen?

 

“Abtreibung” oder “Schwangerschaftsabbruch” – wer verwendet welche Begriffe?

 

Das umgangssprachliche Wort “Abtreibung” ist stark von Abtreibungsgegner*innen vereinnahmt: Christlich-fundamentalistische und rechte Bündnisse – wie die “Demo für alle”, der “Marsch für das Leben” oder auch die AfD – nutzen den Begriff. Dieses Lager wirkt mit stark emotionalisierenden Darstellungen auf die Meinungsbildung ein und stellt den Schutz von entstehendem Leben über Leben und Lebensqualität der Schwangeren. Unter der scheinbar unangreifbaren Parole “Lebensschutz” wird häufig ein Abbruch in der 4. bis 8. Woche einer Schwangerschaft mit einem in Woche 40 gleichgesetzt – ein Vergleich, der wenig Bezug zur biologischen und psychologischen Realität hat.
 
Die Gegenseite, die auch “Pro-Choice-Seite” genannt wird, spricht meist vom “Schwangerschaftsabbruch” und argumentiert, dass auch Begriffe wie Vulvalippen statt Schamlippen genutzt werden sollten, um zu erreichen, dass der allgemeine Sprachgebrauch sich ändert – weg von diffamierenden oder verletzenden Begrifflichkeiten. Als Feministisches Frauen*gesundheitszentrum verwenden wir im Folgenden ebenso den Begriff “Schwangerschaftsabbruch”. Anders als von Lebensschützer*innen gelegentlich behauptet wird, sprechen sich Pro-Choice-Aktivist*innen übrigens nicht für ungeregelt zulässige Abbrüche bis zur Geburt aus. Meistens ist von einer Legalisierung im ersten Schwangerschaftsdrittel die Rede, wobei es hier innerhalb der Bewegung unterschiedliche Sichtweisen gibt.

 

Aktuelle Situation in Deutschland

 

Juristisch gesehen ist es in Deutschland grundsätzlich eine Straftat, geregelt durch § 218 im Strafgesetzbuch, nach Einnistung der befruchteten Eizelle in der Gebärmutter eine Schwangerschaft zu beenden. Straffrei abbrechen kann innerhalb der ersten 12 Wochen nach der Empfängnis, wer sich bei einer anerkannten Beratungsstelle beraten lässt und dafür eine Bescheinigung ausgestellt bekommt.

 

Welche Beratungsstellen sind denn anerkannt? Welche stellen diese notwendige Bescheinigung aus? Und warum ist es eine Pflicht, sich beraten zu lassen und kein Recht? Wo sind Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen zu finden? Und welche Ärzt*innen führen den Eingriff durch?

 

In Stuttgart sind es laut der offiziellen Liste der Bundesärztekammer zwei Praxen. Gibt es wirklich so wenige oder trauen sich andere Ärzt*innen vielleicht nicht, sich auf eine offizielle Liste setzen zu lassen? (Wir können euch sagen, es sind mehr.) Und wie sieht es mit den Kliniken aus?

 

Man könnte doch annehmen, Kliniken in öffentlicher Trägerschaft sollten bundesweit dazu verpflichtet sein, Abbrüche vorzunehmen?

 

Warum kann ich als Betroffene nicht auf der Website meiner gynäkologischen Praxis nachlesen, ob und wie dort Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen werden?

 

Da gibt es auch ein juristisches Problem: Erst seit März 2019 darf auf der Website einer Praxis stehen, dass Abbrüche durchgeführt werden. Was aber nach wie vor nicht geht: Eine Praxis darf auf der eigenen Website laut § 219a StGB keine näheren Informationen über angewandte Methoden veröffentlichen, also ob es sich zum Beispiel um einen medikamentösen Abbruch handelt oder um die Methode des Absaugens.

 

Kristina Hänel, Allgemeinärztin und Aktivistin, hatte seit Jahren jedoch detaillierte Informationen zum Ablauf von Schwangerschaftsabbrüchen auf ihrer Website und musste diese nun im Januar von ihrer Website nehmen:
Das Frankfurter Oberlandesgericht erklärte die Verurteilung der Ärztin wegen “Werbung für Abtreibungen” auf ihrer Homepage erneut als rechtskräftig. Das Gericht betonte, sie habe nicht nur kommuniziert, dass sie Abbrüche vornimmt, sie habe auch zu viel darüber informiert, wie Schwangerschaftsabbrüche in ihrer Praxis durchgeführt würden.
Zu viel Information? Gibt es das?

 

Ein Bündnis von Aktivist*innen hat unter der Überschrift “Solidarität für Kristina Hänel” genau diese Informationen online gestellt, damit sich jede*r ein Bild machen kann, welche Inhalte zu dieser Verurteilung geführt haben (siehe Link).

 

Kristina Hänel kämpft weiter und legt Verfassungsbeschwerde ein. Das Bundesverfassungsgericht muss sich nun durch Hänel – und zuvor durch Bettina Gaber – juristisch mit einer grundlegenden und menschenrechtlich relevanten Frage beschäftigen: Ist der Strafrechtsparagraph § 219a StGB überhaupt mit dem Grundgesetz vereinbar?

 

Ein weiterer Missstand: Nicht jede*r Medizinstudierende lernt überhaupt, wie ein Schwangerschaftsabbruch durchgeführt wird und wie der gesetzliche Rahmen dafür aussieht. Das könnte man doch zur Pflicht machen?
Bislang ist dies nicht der Fall, obwohl ein Abbruch einer der am häufigsten praktizierten gynäkologischen Eingriffe ist und in Deutschland jährlich um die 100 000 Abbrüche durchgeführt werden. Ins Verhältnis gesetzt zur Anzahl der Geburten, die ca. bei 700 000 pro Jahr liegen, bedeutet das, auf 7 geborene Kinder kommt ein Schwangerschaftsabbruch.

 

In jedem Fall wird es Schwangeren, die über einen Abbruch nachdenken, in Deutschland schwer gemacht. Da schwingt der Vorwurf mit, die Entscheidung würde leichtfertig gefällt. Zum einen sind Informationen schwer zu beschaffen, zum anderen handelt es sich noch immer um ein Tabu-Thema: Über einen solchen Schritt wird selten offen gesprochen – anders als es zum Beispiel beim Beklagen eines Todesfalls in der Familie oder der Trauer über eine Trennung üblich ist.

 

Was es Positives zu berichten gibt

 

Das Bundesgesundheitsministerium gibt bis Ende 2023 eine umfassende wissenschaftliche Studie mit dem Titel „Erfahrungen und Lebenslagen ungewollt Schwangerer – Angebote der Beratung und Versorgung (Elsa)“ in Auftrag. Diese wird von ausschließlich weiblichen Forscherinnen angeleitet und geht der Frage nach, wie Frauen in Deutschland eine ungewollte Schwangerschaft erleben und verarbeiten. Ein wichtiger Teilaspekt: „Wir prüfen zum Beispiel noch, wie wir messen, inwiefern Frauen bei ihrem Vorgehen dadurch beeinflusst sind, dass Schwangerschaftsabbrüche als Straftat im Strafrecht verankert sind und moralisch abgewertet werden“, sagt dazu die Studienkoordinatorin. Eine solche neue, aufwendige Studie ist als Kehrtwende zu verstehen, da zuvor häufig ein “Post Abortion Syndrom” unterstellt wurde. Es wurde also davon ausgegangen, dass Schwangerschaftsabbrüche schwere seelische Folgen nach sich zögen. Diese These ist jedoch mittlerweile wissenschaftlich widerlegt.

 

Gegen den Druck der sich immer besser vernetzenden Abtreibungsgegner*innen formiert sich Widerstand: In vielen deutschen Städten fanden zum 28.09., dem internationalen Tag für sicher(er)e Abtreibungen (Safe Abortion Day) Aktionen statt, die auf das Thema aufmerksam machen. Die Medical Students for Choice setzen sich dafür ein, dass mehr Medizinstudierende (oder alle) lernen, wie ein Schwangerschaftsabbruch funktioniert. Und alle Organisationen oder Einzelpersonen, die sich in Stuttgart dafür einsetzen wollen, dass die Entscheidung für oder gegen einen Schwangerschaftsabbruch das ist, was es sein soll, nämlich eine höchst persönliche Entscheidung der Schwangeren selbst, sind eingeladen, sich dem Bündnis “Pro Choice Stuttgart” anzuschließen. Meldet euch gerne beim FF*GZ.

 

Aktuelle News aus dem Ausland?

 

In Polen ist im Januar diesen Jahres ein Gesetz in Kraft getreten, das selbst Schwangeren mit schwer kranken oder unheilbaren Föten den Abbruch verbietet. Jetzt darf nur noch nach Vergewaltigungen abgetrieben werden – oder, wenn das Leben der Schwangeren in Gefahr ist. Dieses Verbot spaltet die polnische Gesellschaft: Am einen Ende steht die Front der katholischen Traditionist*innen, am anderen stehen Liberale und Feminist*innen. Demonstrationen und Straßenschlachten waren zunächst die Folge. Aktivist*innen besprühten Kirchenwände mit den Telefonnummern von Hilfsorganisationen. Diverse Initiativen verteilen im Rahmen ihrer Möglichkeiten Informationen, wie zum Beispiel “Aborcja bez granic”. Es wird in den folgenden Jahren Zehntausende geben, die nach Deutschland oder Tschechien reisen müssen, um einen Abbruch durchführen zu lassen. Diesen kann nun durch Organisationen geholfen werden, eine solche Reise zu finanzieren.
Und was der Regierung noch dazu einfällt: Sogenannte “Geburtshospize”. Eltern krank geborener Kinder können zukünftig an diesem Ort ihre Kinder in den Tod begleiten, obwohl häufig schon in der Schwangerschaft klar gewesen sein muss, dass das Kind keine Überlebenschance hatte.

 

Das hat Papst Franziskus nicht gefallen: In Argentinien hat der Senat im Dezember 2020 für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen abgestimmt und dieser Beschluss trat nun im Januar in Kraft. Bislang standen Abbrüche selbst nach Vergewaltigungen oder bei gesundheitlicher Gefährdung der Schwangeren unter Strafe. Nun hat sich das Land für eine Fristenlösung entschieden: 14 Wochen lang sind nun im öffentlichen Gesundheitswesen kostenlose Abtreibungen möglich.

 

Dreißig Jahre Kampf und ein bereits gescheiterter Versuch gingen dieser Errungenschaft voraus. Dreißig Jahre, in denen der Hauptgrund für Müttersterblichkeit in Argentinien illegale Abbrüche waren.
Argentinien hat Ecuador nun dazu inspiriert, im aktuellen Präsidentschaftswahlkampf das Thema Schwangerschaftsabbrüche als gesellschaftlich relevantes Thema aufzunehmen.

 

Text: Korinna, unter beratender Mitwirkung von JJ.

 

Mehr Infos zu Beratungsangeboten und Hintergrundinformationen: ffgzstuttgart.de/wissen/gesundheit.

 

Möglichkeiten, um selbst aktiv zu werden:

 

Aktuell setzen sich folgende Petitionen für die Straffreiheit von Schwangerschaftsabbrüchenn und für einen flächendeckenden Zugang zu Abbrüchen und Informationen ein:

Petition 1
Petition 2

 

Mailinglisten des sich aktuell gründenden Pro-Choice-Bündnisses Stuttgart: Info / Orga-Team

Medical Students for Choice

Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung

Seite zum Tag der sichereren Schwangerschaftabbrüche
 
Flyer des Pro Choice Bündnisses Stuttgart: Flyer_ProChoice_2021

 

Quellen:

Zahlen Abbrüche, Geburten, Eingriffe, Anzahl und Altersverteilung von Schwangerschaftsabbrüchen: Pro Familia

Gesetzliche Grundlagen: BMFSFJ , Dejure

Versorgungslage in Deutschland: Bundesärztekammer

Solidarität für Kristina Hänel: Über den Fall , Solidaritäts-Blog , Informationen, für deren Publikation Kristina Händel verurteilt wurde (andere dürfen sie online stellen)

Studie zu Schwangerschaftsabbrüchen geplant: taz

Situation in Polen: Spiegel , Tagesschau, Abortion.eu

Situation in Argentinien: Tagesschau, Domradio, hpd

 

Foto: Olia Danilevich, Pexels