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RÜCKBLICK WE ALL CAME OUT OF A PUSSY #4 – DID WE?!

 

Diskutieren, informieren, enttabuisieren: Am 4. November 2023 kehrte das FF*GZ Stuttgart e.V. mit der vierten Edition von „We all came out of a pussy“ in die RAMPE und somit an den Geburtsort des Festivals zurück. Unter dem Zusatz „did we?!“ hinterfragten wir mit einem vielfältigen Programm aus Ausstellung, Workshops, Lesung, Podiumsdiskussion, Vulva-Abformungen, Infotischen und Theaterperformance einen Tag lang bestehende gesellschaftliche Normen und Strukturen rund um die Themen Elternschaft, Verteilungsgerechtigkeit und vielfältige Familienformen. Denn (Queer-)Feminismus und Familienentwürfe/-planung sind gesamtgesellschaftliche und globale Anliegen, die kontinuierlich verteidigt und neu gedacht werden müssen!

 

Direkt nach dem Aufbau wurde das Festival mit einer Performance im Foyer eröffnet. Interaktiv wurden von den Mitfrauen* nicht nur die einzelnen Programmpunkte vorgestellt, sondern auch auf weitere Punkte wie Awareness, Barrierefreiheit und Rahmenprogramm hingewiesen. Im Anschluss startete direkt das Workshop-Programm, das bereits am Vortag fast komplett ausgebucht war.

 

 

Beziehungen. Wie wollen wir sie gestalten?
 

Der anderthalbstündige Workshop von der ausgebildeten Sexualpädagogin Angela fand während des Festivals einmal vormittags und einmal nachmittags statt (aufgrund des Ausfalls eines anderen Workshops aufgrund von Krankheit). Beide Male war der Workshop mit mehr als 20 Teilnehmenden ausgebucht. Angela bot verschiedene Fragestellungen zu Beziehungen an, welche die Teilnehmenden zunächst alleine für sich reflektierten und dann in Kleingruppen besprachen. Es entstand schnell ein sehr offener und vielseitiger Austausch über verschiedene Formen von Beziehungen, Nähe und Autonomie.

 

 

Geburtsgespräche – anders als erhofft?
 
Wir alle wurden geboren – doch nicht alle auf demselben Weg. Mit Blick auf den oftmals hinterfragten Festivaltitel sollte dieses Format einen Raum schaffen für Fragen, die das Thema Geburt und ihre Folgen betreffen. An der von Stefanie (Dozentin an einer Fachschule für Sozialpädagogik (sexual-)pädagogische Themen) und Lena (Hebamme im Stuttgarter Geburtshaus) geleiteten Gesprächsrunde nahmen rund 20 Personen teil. Mit Unterstützung von Lena gelang es Stefanie sehr gut, einen „intimen Raum“ zu eröffnen, indem sich jede der Anwesenden einbringen konnte und einige sehr berührende Geschichten einer oft schwierigen Geburt berichteten. Anwesend waren auch am Thema interessierte Hebammen und Hebammenschülerinnen. Als größtes Problem, ja geradezu als Schock, beschrieben die Teilnehmerinnen die Entmächtigung und oft schlechte Kommunikation während der Geburt. Dabei kam auch zur Sprache, dass die Hebammen in den Kliniken in den sehr effizient ausgerichteten Geburtsprozess einbezogen sind und sie oft mehrere Geburten gleichzeitig begleiten müssen und so die Gebärenden nur begrenzt begleiten können. Der Workshop ermöglichte einen Raum für Begegnung, etwas Verarbeitung der eigenen Geschichte und damit Ermächtigung.

 

 

Wie kann Sex gesünder & feministischer werden?
 
Nachdem der Workshop bereits im Vorfeld ausgebucht war, gingen die vier FF*GZ-Mitfrauen* Lilou, Karla, Hanna und Sissy gemeinsam mit den rund 40 Teilnehmenden wichtigen Fragen rund um das Thema Verantwortung, Vorlieben und Grenzen beim Sex auf die Spur. Dabei definierten sie in Kleingruppen „gesunden” und „feministischen Sex“ und erarbeiteten mögliche Lösungsansätze. Diese sollten den Beteiligten zukünftig dabei helfen, das Wohlbefinden und die Sicherheit zu steigern, um u.a. die Verantwortung auf die Geschlechtspartner*innen aufzuteilen und individuelle Grenzen artikulieren zu können für gesünderen und feministischeren Sex.

 

 

Sarah Diehl „Die Freiheit, allein zu sein“
 
In der von Frederike Wiechmann moderierten Lesung mit Sarah Diehl zu ihrem Buch „Die Freiheit allein zu sein“ ging es um die Bedeutung von Freiräumen besonders für Frauen, außerhalb von patriarchal-gesellschaftlichen Normen wie die der Kernfamilie, in der Frauen immer noch die meiste Sorgearbeit leisten und dafür auf bezahlte Lohnarbeit verzichten. Sarah Diehl zeigte auf, dass es kein Widerspruch ist, sich (temporär) ins Alleinsein und in die Reflexion der eigenen Bedürfnisse zurückzuziehen und trotzdem ein engagiertes und aktives Mitglied einer Gemeinschaft und Gesellschaft im weiteren Sinne zu sein. Sie differenziert auf gewinnbringende Weise, dass „allein sein“ weder „isoliert sein“ noch „egoistisch sein“ bedeuten muss und betrachtet in diesem Kontext die kulturpessimistische Erzählung der vereinzelten Gesellschaft. Zur Lesung waren 80 Personen anwesend, aufgrund von Platzmangel mussten weitere Interessierte leider abgewiesen werden.

 

 

„Verteilungsgerechtigkeit: Nicht alle haben dieselben Startmöglichkeiten ins Leben?!“
 
Die Abschlussdiskussion mit rund 60 Zuhörer*innen legte den Schwerpunkt auf Chancen- und Verteilungsgerechtigkeit sowie auf die Auswirkungen von verschiedenen gesellschaftlichen Positioniertheiten und Diskriminierungsbetroffenheiten. Als Podiumsteilnehmende tauschten sich Künstler*in Yara Richter, Autorin Sarah Diehl und Künstler*in Steven Solbrig mit der Moderatorin Yeama Bangali darüber aus, wie strukturelle und gesellschaftliche Diskriminierung Menschen in ihrer eigenen Entwicklung beeinträchtigen, über die Sichtbarkeit marginalisierter Gruppen und ihre Visionen für eine gerechtere Gesellschaft. Besprochen wurde auch die Frage nach Möglichkeiten der Allianzbildung zwischen Communities, ohne dabei Marginalisierungen zu reproduzieren. Im Anschluss folgte eine lebhafte Diskussion mit dem Publikum.

 

 

„I choose… No! A Story of Non-Motherhood“
 

Nachdem die Tickets bereits im Vorfeld beinahe ausverkauft waren und nur noch durch zusätzliche Bestuhlung ein paar wenige an der Abendkasse zu erwerben waren, stellten die silent ladies_ am Abend vor rund 120 Zuschauer*innen Fragen rund um gewählte Nicht-Mutterschaft und deren Stigmatisierung und zeigten, dass die biologische Uhr eigentlich nicht tickt. In der Performance kommen zwei Frauenfiguren über ihre jeweiligen Erfahrungen in einen Austausch. Diese sind von biografischen Ereignissen sowie historischen Umständen geprägt. Dabei sind Aspekte wie unbezahlte Care Arbeit, konservative Rollenbilder, Religion, historische und medizinische Umstände ausschlaggebend. Es wurde humorvoll mit Klischees wie dem „Mutterinstinkt“ aufgeräumt, über das Tabuthema Sterilisation gesprochen und sogar der ersten Frau der Welt, Lilith, ein Gastauftritt eingeräumt.

 

 

RAHMENPROGRAMM Zusätzlich zu den einzelnen festen Programmpunkten gab es für die Festival-Besucher*innen die Möglichkeit, sich in einem offenen Rahmenprogramm zu verschiedenen Themen zu begegnen und auszutauschen, etwa beim Betrachten der Ausstellung „GOOD TO KNOW X“, die kreativ überraschende, spannende und lustige Fakten aus den Bereichen den Bereichen Gleichberechtigung, Migration, politische Bildung und Tierethik aufzeigte. Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper bot sich über die mittlerweile zu den untrennbar mit dem FF*GZ verbundenen Vulva-Abformungen, ein Angebot, das tagsüber in geschütztem Rahmen im kleinen Foyer von zahlreichen Neugierigen angenommen wurde.

 

 

Darüber hinaus luden der Kinderbereich mit Spiel- und Bastelangebot sowie einer großen Anzahl diverser Kinderbücher aus dem von BerTa Regenbogenfamilien zur Verfügung gestellten Bücherkoffer Groß und Klein zum Verweilen ein. Ein allgemeiner Infotisch mit Materialien diverser Kooperationspartner*innen sowie ein Büchertisch der Markusbuchhandlung Stuttgart mit ausgewählter feministischer Literatur sowie ein üppiges Buffet sorgten für eine gemütliche und anregende Atmosphäre, um miteinander ins Gespräch zu kommen. Einen weiteren Anlass für Vernetzung und Austausch bot der musikalische Party-Abschluss in der Rakete, bei dem über die Nacht verteilt rund 300 Menschen ausgiebig zu den verschiedensten DJ-Sets tanzten.

  • Das FF*GZ Stuttgart dankt für die Kooperation mit der Heinrich Böll Stiftung Baden-Württemberg, der RAMPE und für die freundliche Unterstützung des BMFSFJ im Rahmen des Förderprogrammes „Demokratie leben!“, der Alfred Ritter GmbH, des Bezirksbeirat Stuttgart Süd und des Förderprogrammes „Stuttgart für alle inklusiv“ der Landeshauptstadt Stuttgart. Darüber hinaus geht ein besonderer Dank an alle Beteiligten, die das Festivalprogramm durch ihre Beiträge bereichert haben.
(c) Marie Weisser _marie__fotografie
© Marie Weisser
  • Fotos: © Marie Weisser _marie__fotografie | 1 & 2 Eröffnungsperformance im Foyer | 3 & 4 Stefanie & Teilnehmende "Geburtsgespräche - anders als erhofft? | 5 Buffet | 6 Kinderbereich mit diversen Kinderbüchern von BerTa Regenbogenfamilien | 7 Austausch & Begegnung im Foyer | 8 Sarah Diehl & Frederike Wiechmann | 9 volle Probebühne bei Sarah Diehls Lesung | 10 Yara Richter auf dem Podium | 11 Steven Solbrig & Sarah Diehl auf dem Podium | 12 Yeama Bangali, Yara Richter, Steven Solbrig & Sarah Diehl zu "Verteilungsgerechtigkeit" | 13 Ausstellung "Good to know X" | 14 Abschlussfoto mit einem Teil des Festival Teams